Meter über Meer

Messung auf dem Tenner Chrüz, 30.6.2024
Messung auf dem Tenner Chrüz, 30.6.2024

In den Schweizer Alpen sind die Höhenangaben allgegenwärtig. Sie werden zur Orientierung, Kontrolle der sportlichen Leistung und für die Standortwerbung genutzt und haben auch ökonomische Auswirkungen. So ist die Bezeichnung Alpkäse erst ab einer Höhe von 1’700 m ü. M. zulässig. 1

Meter über Meer (m ü. M.) ist die schweizerische Bezeichnung von Höhen über dem Meeresspiegel. Spätestens seit wir wissen, dass wir mit den in die Atmosphäre eingebrachten, klimawirksamen Gasen – allem voran durch die Verbrennung fossiler Energieträger – den Meeresspiegel in den nächsten Jahrhunderten um mindestens vier Meter anheben werden, sind Höhenangaben nicht mehr fest. 2

Die Meter über Meer verändern sich aber nicht nur durch die Meeresspiegelanstieg. Aufgrund der Plattentektonik heben sich die Alpen nach wie vor um wenige Millimeter pro Jahr. Andere Orte – wie die Küste bei Marseille – sinken leicht ab. 3

Hintergrund

Meeresspiegelanstieg

Seit dem Ende der letzten Eiszeit blieb der Meeresspiegel nahezu konstant. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ein Meeresspiegelanstieg gemessen, der allein im 20. Jahrhundert bei zirka 17 cm liegt. In den vergangenen Jahrzehnten ist eine Beschleunigung zu beobachten: Zwischen 1901 und 2010 stieg der Meeresspiegel um 1,7 mm/Jahr, im Zeitraum von 1993 bis 2010 waren es durchschnittlich 3,2 mm/Jahr. Diese Rate beschleunigte sich im Jahrzehnt 2013–2022 auf 4,62 mm/Jahr. 4

Der klimabedingte Meeresspiegelanstieg beruht im Wesentlichen auf zwei Phänomenen: Die Erwärmung der Ozeane 5 führt zur Ausdehnung des Wassers und die gestiegenen Lufttemperaturen zum Abschmelzen von Gletschern und Eisschilden, wodurch Wasser vom Festland in die Ozeane fliesst.

Durch die bereits erfolgten Treibhausgasfreisetzungen werden die Meeresspiegel noch Jahrhunderte weiter ansteigen. Gut erforscht ist der Zusammenhang zwischen globalem Temperatur- und Meeresspiegelanstieg. Bei der Geschwindigkeit dieses Vorgangs bestehen grössere Unsicherheiten, vor allem wegen möglicher Kipppunkte bei der Gletscherschmelze in der Antarktis. 6 Zudem ist das Tempo des Meeresspiegelanstiegs von unserem künftigen Handeln abhängig.

Höhenbestimmung

Da die Schweiz keinen Meeranschluss hat, wurden im 19. Jahrhundert französische Messungen von Marseille nach Genf übernommen. Als Referenzpunkt für das schweizerische Höhensystem diente ein gut sichtbarer Stein im Genfer Hafenbecken, der «Repère Pierre du Niton». Seine Höhe wurde auf 373,6 Meter gerundet. Von dieser Markierung aus wurden alle anderen Höhenpunkte in der Schweiz vermessen und in die Landeskarten eingetragen.

Allein in Europa gibt es 15 Höhenreferenzsysteme, die sich auf unterschiedliche Standorte am Meer beziehen. Da die Erde eine ungleichmässige Massenverteilung besitzt, unterscheiden sich diese Meereshöhen. Die Abweichungen bei den Höhenreferenzsystemen haben manchmal bizarre Konsequenzen. So führte 2003 beim Bau einer Strassenbrücke bei Laufenburg an der Deutsch-Schweizer Grenze ein Vorzeichenfehler zu einer Verdopplung der Differenz zwischen den beiden Höhenbezugssystemen und einem «Brückenloch» von 54 cm.

Konzept

Als Beitrag für die Safiental Biennale 2024 stellt das Künstlerduo Hemauer/Keller dem «Institute for Land and Environmental Art (ILEA)» ein Messgerät zur Verfügung, mit dem es über einen langen Zeitraum Höhenbestimmungen unter Berücksichtigung des steigenden Meeresspiegels, der Hebung und Senkung durch die Plattentektonik und der Hangbewegung durch den Bündnerschiefer durchführen kann. In Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Nordwestschweiz, Swisstopo und dem Astronomischen Institut der Universität Bern entwickelten sie eine Messanordnung, die es erlaubt, Höhenbestimmungen mit einer Genauigkeit im Zentimeterbereich durchzuführen.

An fünf Standorten im Safiental wurden Messungen durchgeführt und die Höhenangaben auf Aluplatten geprägt. Alle zwei Jahre werden die Messergebnisse nachgetragen.

Berechnung

Die Berechnung der Meter über Meer wurde im Rahmen einer Masterarbeit von Silvan Vollenweider am Institut für Geomatik an der Fachhochschule Nordwestschweiz erarbeitet. Die Methode wird folgend verkürzt zusammengefasst.

Pegel Marseille – GNSS-Messpunkt Marseille

Der Meeresspiegel wird in Marseille mit Unterbrüchen seit 1849 aufgezeichnet. Da die Messwerte von vielen Faktoren wie Wetter, Gezeiten, Salzgehalt, Tektonik beeinflusst werden, fluktuieren sie stark. Für die Berechnung der aktuellen Meereshöhe werden die Messdaten über die Länge eines Mond-Zyklus von 18.61 Jahren gemittelt. Da die Mittelung einen 9.3 Jahre alten Meeresspiegel repräsentiert, wird für diese Zeit das Produkt mit der durchschnittlichen vertikalen Geschwindigkeit über den letzten Mondzyklus addiert.

Die Pegelstation ist mit einer permanent messenden GNSS-Station ausgerüstet. Dies ermöglicht die Messungen an ein globales Koordinatensystem zu knüpfen.

GNSS-Messpunkt Marseille – GNSS-Messpunkt Zimmerwald

Um Höhen in der Schweiz an den Meeresspiegel bei Marseille zu koppeln, wird zwischen den beiden Standorten ein gemeinsames, globales Koordinatensystem benötigt. Dazu dient eine permanent messende GNSS-Station im bernischen Zimmerwald, der dislozierte «Repère Pierre du Niton», welcher als Fundamentalpunkt des modernen schweizerischen Koordinatensystems operiert. Aus den globalen Koordinaten (EUREF) der beiden Standorte werden die relativen Differenzen abgeleitet sowie die relativen, zeitabhängigen tektonischen Bewegungen berechnet.

GNSS-Messpunkt Zimmerwald – GNSS-Messung Safiental

Die horizontalen und vertikalen Bewegungen der Landmassen bezüglich dem Fundamentalpunkt werden in der Schweiz mit einem Netz von GNSS-Messstationen beobachtet. Um die vertikale Bewegung der Messpunkte im Safiental zu ermitteln, werden die Angaben der drei nächsten Messstationen bezüglich ihrer Distanz gewichtet und mit der gemessenen Höhe verrechnet.

Auf dieser Grundlage kann die dynamische Höhendifferenz für jeden beliebigen Messpunkt in der Schweiz berechnet werden.

Messung

Die Messung erfolgt mit dem GNSS-Empfänger Mosaic-X5-Receiver der Firma Septentrio und der entsprechenden kalibrierten GNSS-Tripleband/L-Band-Antenne. Den Bezug zum schweizerischen Koordinatensystem wird mit der Verwendung vom Satellitenpositionierungsdienst von Swisstopo/Swipos sichergestellt. An jedem Standort werden drei Messungen von je zehn Minuten durchgeführt. Die drei Messwerte werden gemittelt.

Resultate 2024

Versam29.06.202446.7911859279.3384052331317.86
Tenna30.06.202446.7466265409.3388698801643.68
Tenner Chrüz30.06.202446.7600256609.3329745232015.94
Safien Platz29.06.202446.6817826909.3149923301315.91
Turrahus29.06.202446.6249457439.2764873731695.40

 

  1. Die «Alte Sennerei» in Tenna (heute Hospiz) wurde aus diesem Grund auf die um 200 Meter höher gelegene Tenner Alp verlegt. ↩︎
  2. Pro Grad Erderwärmung wird mit einem Meeresspiegelanstieg von 2,5 m gerechnet. https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2019-11/klimawandel-venedig-hochwasser-klimaforschung-anders-levermann ↩︎
  3. Ein internationales Team unter der Leitung der Universität Bern erbrachte 2020 erstmals den Nachweis, dass sich die Schweizer Alpen schneller anheben als abtragen. https://mediarelations.unibe.ch/unibe/portal/media_relations/content/e805/e911258/e913259/e1019662/media_service1019668/files1019669/20201126_Medienmitteilung_UniBE_Alpen_Abtragung_ger.pdf ↩︎
  4. NASA-Meeresspiegelprognose-Tool um die Meeresspiegelprognosedaten aus dem 6. IPCC-Bericht zu visualisieren.
    https://sealevel.nasa.gov/ipcc-ar6-sea-level-projection-tool ↩︎
  5. Von der Energie, die seit den 1970er Jahren durch den menschlichen Treibhauseffekt in der Atmosphäre „eingefangen“ wurde, gelangten 93 % in Form von Wärme in die Ozeane. https://sealevel.jpl.nasa.gov/ocean-observation/why-study-the-ocean/overview  ↩︎
  6. Seit 1993 wird die Höhe des Meeresspiegels von Satelliten mit einer bisher unerreichten Genauigkeit gemessen.
    https://www.nature.com/articles/s41558-023-01818-x ↩︎
2024