16 Min., Sprache: Deutsch (English translation)
HK: Ulrike Lohmann, Du bist Klimaforscherin und leitest die Gruppe Atmosphärenphysik am Institut für Atmosphäre und Klima an der ETH Zürich. Wie bist du zu den Wolken gekommen?
UL: Eigentlich durch Zufall. Ich habe Meteorologie studiert. Das gibt es in Deutschland als Studiengang. Mich hat anfänglich primär die Dynamik der Atmosphäre interessiert, wie sich Tief- und Hochdruckgebiete entwickeln. Aber dann wäre der Betreuer, zu dem ich hätte gehen wollen, von Hamburg weggegangen und ich wollte in Hamburg bleiben und so bin ich zu den Wolken gekommen. Ich kann aber hinzufügen, dass ich Wolken sehr faszinierend finde und die haben mich immer fasziniert. Ich wäre einfach von mir aus nicht auf die Idee gekommen, Wolken zu studieren.
HK: Kannst du uns erklären, wie Wolken überhaupt entstehen?
UL: Ganz einfach dadurch, dass sich die Luft abkühlt. Und je kälter die Luft ist, desto weniger Wasserdampf kann sie halten. Irgendwann kondensiert der Wasserdampf. Im Winter, wenn es draussen kalt ist, kondensiert Wasserdampf an den Fenstern, weil die Fenster kalt sind. Da wo es kalt ist, kann Wasserdampf weniger in der Gasphase gehalten werden, er kondensiert und bildet Tröpfchen. Für die Wolkenbildung benötigen wir also Luft, die sich abkühlt. Das tut sie, wenn sie aufsteigt. Und dann brauchen wir noch etwas, woran sich der Wasserdampf kondensieren kann. Entweder Fensterscheiben oder Staubpartikel in der Atmosphäre.
HK: Und wieso steigt die Luft auf?
UL: Ja, zum Beispiel im Sommer, wenn wir Sonneneinstrahlung haben und die Sonne den Erdboden erwärmt. Dann steigt diese warme Luft auf und dehnt sich aus. Oder aber wir haben Fronten, eine Warmfront, wo die warme Luft an der kalten Luft aufsteigt. Oder eine Kaltfront, wo sich die kalte Luft unter die warme Luft drängt und die warme Luft zum Heben zwingt. Oder, prominent in der Schweiz, wir haben Berge. Wenn die Luft über Berge strömt, steigt sie auch auf und kühlt sich ab. Es gibt also die drei Möglichkeiten. Gebirge, Fronten oder Sonneneinstrahlung.
HK: Und was untersuchst Du und deine Gruppe zurzeit?
UL: Schon in Hamburg hat mich der Einfluss, den Wolken aufs Klimasystem haben, interessiert. Wirken sie erwärmend oder abkühlend? Wie ändert sich das auf Grund unserer Aktivitäten? Was müssen wir bei einem wärmeren Klima erwarten? Ich habe mich immer damit beschäftigt, wie Wolken im Klimamodell dargestellt werden. Irgendwann habe ich gemerkt, was fehlt, um Wolken zu verstehen. Es sind Messungen. Worauf ich in Halifax angefangen habe, selbst Labormessungen zu machen. Die Frage war, welche Aerosole sich als Eiskeime eignen. Also die Staubteilchen, welche durch Eiskristallbildung die Wolkenbildung initiieren können. Das machen wir im Labor. Zusätzlich gehen wir raus ins Feld und versuchen auch dort die Eisbildung in Wolken zu verstehen. Wir haben verschiedene Standbeine. Labormessungen von Aerosolen, die Eis bilden, Feldversuche, um zu sehen, wie sich das in der wirklichen Atmosphäre verhält und Studium im Klimamodell.
HK: Wir haben gehört, dass in Bezug auf die Klimamodelle bei der Wolkenbildung noch grosse Unsicherheiten bestehen.
UL: Die Klimamodelle haben nur eine begrenzte Auflösung. Traditionell 100 Kilometer mal 100 Kilometer grosse Gitterboxen. Die meisten Wolken sind aber viel kleiner. Deshalb kann man sie gar nicht im Detail darstellen. Eine Cumulus-Wolke ist vielleicht ein Kilometer mal ein Kilometer gross. Das ist zu klein für das Modell. Und all die Prozesse innerhalb der Wolke, die passieren auf der Mikrometerskala, also kleiner als ein menschliches Haar. Das muss immer vereinfacht dargestellt werden. Und alles, was vereinfacht dargestellt werden muss, ist mit Unsicherheiten behaftet.
Wolken bilden sich, wenn Luft aufsteigt. Dann dehnt sich das Luftpaket aus und kühlt sich ab, weil der Druck abnimmt. Irgendwann kann der Wasserdampf nicht mehr in der Atmosphäre gehalten werden, sondern kondensiert und bildet Wolkentröpfchen. Das verstehen wir gut. Im Model können die Aufwinde umso besser dargestellt werden, je kleiner die Auflösung ist. Das ist mal das eine. Deswegen ist auch die Wettervorhersage inzwischen bei zirka 1 km Auflösung oder tendenziell noch besser, um eben genau die Auf- und Abwinde richtig zu berechnen. Und dann braucht es noch die Aerosolpartikel, auf denen der Wasserdampf kondensieren kann. Und diese Aerosolpartikel sind auch nur zum Teil verstanden. Also wir wissen, welche Quellen es gibt. Aber wir wissen nicht unbedingt, wie gut sich die als Kondensationskeime für Wolkentröpfchen oder als Eiskeime für Eiskristalle eignen. Gerade bei der Eisbildung ist noch viel unerforscht, weil im Durchschnitt nur ein Aerosol in 10 hoch 5 oder in einer Million als Eiskeim dient. Das ist dann so, wie eine Stecknadel im Heuhaufen suchen. Zu wissen, welche Aerosolpartikel es sind? Und was sie ausmacht? Das wissen wir nicht so genau. Aber wir wissen, dass die Eisbildung in Wolken zentral dafür ist, dass sich Niederschlag bildet. Der meiste Regen, den wir hier in mittleren Breiten haben, kommt über die Eisphase in der Wolke. Also die Eisbildung zu verstehen, ist einer der zentralen Punkte.
HK: Wir waren ja überrascht, als uns dein Kollege, Reto Knutti, uns vor ein paar Jahren gesagt hat, dass die Farbe des Himmels nicht wissenschaftlich beobachtet wird, weil es keine relevante Grösse sei. Das hat uns natürlich als Künstler provoziert. Seitdem versuchen wir, Messgeräte zu entwickeln, um eben diese Lücke zu füllen, um die Himmelsfarbe zu beobachten. Wir würden das gerne auf Museumsdächern tun. Bisher haben wir es geschafft, den Himmel mit Kameras fotografisch zu beobachten. Wir würden das in Zukunft gerne auch spektral können. Diese Zeitrafferaufnahmen, die wir dir gezeigt haben, die machen diesen menschlich beeinflussten Himmel gut sichtbar. Vor allem, wenn es Flugzeuge hat. Aus diesen Kondensstreifen entstehen oft ganze Wolkendecken. Die sieht man an vielen Tagen als grosse Wolkenfelder. Wenn du solche Filme anschaust, was löst das aus?
UL: Mir gefallen die Filme als solche, weil ich es spannend finde, zu sehen, wie sich die Wolken entwickeln. Das mal vorab. Und das ist unabhängig davon, ob es natürliche Wolken sind oder menschengemachte. Die Kondensstreifen zu sehen, zeigt ganz klar, wie wir die Atmosphäre beeinflussen. Da ist es für einmal sichtbar. Sonst ist die CO2-Konzentration ja keine Grösse, die wir sehen können und mit den Kondensstreifen wird sie sichtbar. Wir beeinflussen das Wettergeschehen, wir beeinflussen die Strahlungsbilanz. Wir schaffen da eine zusätzliche Erwärmung, die ohne die Kondensstreifen nicht vorhanden wäre.
HK: Kannst Du Dir vorstellen, dass solche Bilder wissenschaftlich genutzt werden können?
UL: Ja, auf jeden Fall. Ihr habt es ja gerade gesagt, man sieht die zeitliche Abfolge, man kann viel besser nachverfolgen, ob sich die Zirruswolke, die ich sehe, natürlich gebildet hat oder ob die aus einem Kondensstreifen gekommen ist.
Die Himmelsfarbe an sich, das stimmt, das ist keine messbare Grösse, mit der wir viel anfangen. Aber wenn wir starke vulkanische Ausbrüche haben, die 15, 30 Kilometer in die Stratosphäre hoch reichen und da viele Aerosolpartikel hinkommen, dann wird viel mehr Sonnenlicht reflektiert. Die Aerosole reflektieren das Sonnenlicht so, dass der Himmel weisslich und milchig erscheint. Dann können Änderungen in der Himmelsfarbe durchaus von Interesse sein. Das ist auch ein Grund, warum der Himmel über Städten eher milchig ist. Die sind oft so verschmutzt, dass wir kaum noch blauen Himmel sehen. So richtig schöne, blaue Himmelaufnahmen hättet Ihr übrigens eher, wenn Ihr die Kameras auf einen Berg stellen würdet, als gerade da, wo die Museen sind. Also insofern sagt die Himmelsfärbung tatsächlich etwas darüber aus, wie sauber oder wie verschmutzt die Atmosphäre ist.
HK: Unsere Behauptung ist ja, dass das Museum die Himmelsfarben oder den Himmel sammeln soll, weil er jetzt menschengemacht ist.
UL: Ach so. Das ist der Witz dahinter!
HK: Uns interessiert dieser menschliche Eingriff. Ich glaube, das hat uns, als wir mit Herrn Knutti gesprochen haben, so irritiert, dass wir den Himmel verändern. Und da kommen wir vielleicht auf ein anderes Thema. Die menschengemachten Wolken wurden 2017 offiziell in den Wolkenatlas aufgenommen. Was haben diese Wolken für einen Einfluss auf das Klima?
UL: Sie erwärmen. Es gibt Wolken, die kühlen, und Wolken, die erwärmen. Das kann man sich gut so veranschaulichen: wenn es nachts wolkenfrei ist, ist es am Morgen kälter. Wir wissen, dass jede bedeckte Nacht dazu führt, dass es am Morgen relativ warm ist. Und das ist der wärmende Einfluss von Wolken. Und die Wolken wärmen umso mehr, je weiter oben sie sind. Und diese Kondensstreifen, die in den gleichen Höhen sind wie die Zirruswolken, sind eigentlich die höchsten Wolken, die wir in der Troposphäre haben, im untersten Stockwerk der Atmosphäre. Und die wirken ähnlich wie Treibhausgase. Das machen sie, egal ob es Tag oder Nacht ist. Aber tagsüber reflektieren Wolken Sonnenlicht. Und das umso mehr, je tiefer in der Atmosphäre sie sind. In der unteren Troposphäre nimmt die Temperatur mit der Höhe ab. Das kennen Sie vom Wandern in den Bergen. Es wird kälter, je weiter man nach oben kommt. Und ich habe ja gesagt, je wärmer es ist, desto mehr Wasserdampf kann die Atmosphäre halten. Desto mehr kann auch kondensieren. Und deswegen sind die Wolken, die sich bei warmen Temperaturen bilden, viel, viel dicker. Von unten sind sie grau. Wenn wir wirklich so schöne, tiefe Wolken haben, sehen wir die Sonne kaum, was zeigt, dass das Sonnenlicht mehrheitlich reflektiert wird. Es geht um das Zusammenspiel. Wie viel Sonnenlicht wird reflektiert von den Wolken und wie viel von der langwelligen Strahlung wird zurückgehalten. Und dieses Zusammenspiel ist abhängig davon, in welchem Stockwerk sich die Wolken bilden und ob es Tag oder Nacht ist und auch, wie die Oberfläche darunter beschaffen ist. Handelt es sich um eine Schneeoberfläche oder um einen Ozean? Da spielen einige Einflussfaktoren mit rein.
HK: In der Diskussion mit Reto Knutti und Atsumu Ohmura wurde uns klar, dass Uneinigkeit besteht, wie sich der Himmel über Zürich farblich verändern wird. Die beiden waren sich nicht einig, ob es blauer oder weisser wird. Was ist Deine Prognose?
UL: Also der Himmel ohne Wolken wird langfristig blauer werden. Je mehr Aerosole, desto milchiger ist der Himmel. Wir sind dabei, die Luft sauberer zu machen. Deshalb wird der wolkenfreie Himmel mit der Zeit blauer. Und wie verändern sich die Wolken? Da wissen wir, dass die tiefen Wolken tendenziell abnehmen, aber die hohen Wolken, also auch die Kondensstreifen und die Zirruswolken eher zu. Insgesamt werden die Wolken den Klimawandel verstärken, das ist mal so die Tendenz. Die gesamte Wolkenbedeckung, wenn ich jetzt tiefe und hohe zusammennehme, ist noch schwer sagen. Die tiefen Wolken nehmen eher in den Tropen ab, da sind wir nicht, auch in absehbarer Zeit nicht. Die hohen Wolken nehmen überall zu. Insgesamt wird der Bedeckungsgrad zunehmen, also wird der Himmel dadurch insgesamt weisser, aber wenn es wolkenfrei ist, ein bisschen blauer.
HK: Der menschliche Einfluss ist ja überall. Verändert das auch die Wissenschaft?
UL: Ja, auf jeden Fall. Gerade um herauszufinden, was unser Beitrag ist, müssten wir eigentlich wissen, wie es früher gewesen ist. Wie sahen die Wolken aus, als es noch weniger Aerosolpartikel gab? Wir haben deshalb auch schon Forschungsfahrten in die Arktis gemacht. In der Arktis ist es einfach, weil es dort sauber ist. Aber selbst das verändert sich. Natürlich schmilzt auch dort das Eis ab. Inzwischen gibt fast keine unverschmutzten Gebiete mehr. Auch die Arktis ist von uns beeinflusst. Je nach Jahreszeit, wenn die Luft aus mittleren Breiten hinkommt. Das stimmt, das Messen ohne den menschlichen Einfluss ist schwierig in der Atmosphäre. Spätestens mit dem CO2, das hat auch überall zugenommen. Das zeigt ja die Mauna Loa Kurve aus Hawaii, welche die CO2-Konzentration misst. Diese Messungen werden ja absichtlich dort gemacht, weil es dort saubere Luft hat. Also ja, es gibt eigentlich keinen Ort mehr auf der Erde, der unbeeinflusst ist.
Was viel gemacht wird, und dafür gibt es in den Klimawissenschaften ausgefeilte Methoden, man rechnet den Einfluss des Menschen raus. Damit werden Simulationen ohne menschengemachtes CO2 und andere Treibhausgase, und ohne unsere Aerosol-Belastung möglich. Damit kann man berechnen, wie wahrscheinlich ein Extremereignis wäre, wie zum Beispiel das Ahrtal Hochwasser in Deutschland, ohne Klimawandel. Diese Berechnungen existieren. Aber alles was wir jetzt messen, beinhaltet eine wesentliche Komponente von unseren menschengemachten Klimaveränderungen.
HK: Weshalb denkst Du, dass wir uns als Gesellschaft so schwer tun mit einer adäquaten Reaktion auf das Wissen, das eigentlich da ist?
UL: Das ist eine vielfältige Frage oder ein vielfältiges Problem. Zum einen sehen wir die Gefahr nicht. Als das Ozonloch aktuell war, war das anders. Wir sehen Sonnenbrand und wenn wir dann zum Arzt, zur Ärztin gehen und Hautkrebs erkannt wird, dann ist das eine reelle Diagnose, die ganz klare Ursachen hat. Wenn es zu heiss ist und wir Sonnenbrand kriegen, das sehen wir. Das CO2 in der Atmosphäre sehen wir nicht. Es baut sich langsam auf. Ja klar, wir sehen die extremen Sommer, wir sehen die Extremereignisse, wir wissen überall gibt es Dürren, gibt es Waldbrände, gibt es Überschwemmungen. Meistens ist es aber weit weg. Und je weiter weg es ist, desto weniger fühlen wir uns davon betroffen.
Und alle Lösungsansätze tun irgendwo weh. Entweder tun sie der Politik weh, der Wirtschaft oder bei unserem Verhalten. Wir kriegen es nicht geschenkt. FCKWs zu ersetzen, damit wir die Ozonschicht nicht weiter gefährden, das war einfach. Da gibt es Ersatzprodukte. Alles, was einfach technisch lösbar ist, kann gemacht werden. Alles, was politisch unbequem ist, wirtschaftlich unbequem ist und für unser eigenes Handeln unbequem ist, ist viel, viel schwieriger zu ändern. Und das ist aus meiner Sicht das Hauptproblem. Es sind diese verschiedenen Ebenen, die miteinander gehen und es gibt keine Ebene, die es alleine kann. Es wäre einfacher, wenn die Politik sagen würde: ab jetzt gilt eine CO2-Steuer, no matter what. Oder die Wirtschaft sagt: okay, wir produzieren jetzt einfach viel, viel weniger, damit wir weniger Energie verbrauchen. Geht ja auch nicht. Solange wir wirtschaftlich denken, ist das nicht der Weg. Es braucht wirklich einen Riesen-Wandel.
Ulrike Lohmann untersucht die Rolle von Wolken und Aerosole im Klimasystem. Die von ihr geleitete Gruppe für Atmosphärenphysik an der ETH Zürich versucht die Wolkenmikrophysik, insbesondere zur Eisbildung in Wolken, zu verstehen. Die Forscher:innen arbeiten experimentell im Labor und nehmen an Feldkampagnen teil. Dies ermöglicht es ihnen, die Darstellung von Wolken in Klimamodellen zu verbessern und numerische Simulationen des Einflusses von Wolken und Aerosolpartikeln auf das Klima in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchzuführen.
Das Interview mit Christina Hemauer und Roman Keller fand am 22.1.2024 in Ulrike Lohmanns Büro an der ETH Zürich statt.